Betäubungsloses Schächten v. Samuel Dombrowski
Das betäubungslose Schächten der Tiere - ethisch vertretbar, religiös begründbar?
Als wesentlicher Aspekt wurde im Alten Testament (AT) gefordert, das Blut der Tiere nicht zu essen, weil dort ihre Seele sei. Mit der als "Schächten" bekannten Tötungsmethode sollte bei Opferritus das Blut aufgefangen und beim Schlacht-Schächten eine Ausblutung des Tieres herbeigeführt werden, um sein Blut nicht mit zu verzehren. Diese Vorstellungen stehen allerdings im Gegensatz zu den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass einerseits durch das Schächten weder eine völligen Ausblutung erreicht wird und 20 - 25% der Gesamtmenge im Körper verbleibt und andererseits diese Restmenge unabhängig davon ist, ob das Tier unbetäubt oder betäubt geschächtet wurde.
Ungeachtet dieser Umstände wird nicht nur auf der Tötungsart des Schächtens bestanden sondern man fordert sogar das unbetäubte Schächten und begründet es mit einer Religionsvorschrift. Dabei geht man von der Auffassung aus, dass das Tier beim Betäuben körperlich verletzt werden würde. Doch bereits die allgemein übliche Elektro-Kurzzeit-Betäubung belegt, dass es beim Wiederaufwachen ohne nachweisbare Schädigungen in seinen uneingeschränkten Funktionszustand zurückversetzt wird. Die in Deutschland und der europäischen Union gültigen Vorschriften, ein Schlachttier nur nach vorheriger Betäubung töten und mit dem Blutentzug erst nach ausreichend langer Betäubung und Schmerzfreiheit beginnen zu dürfen, wird als nicht konform mit den Geboten der gläubigen Juden dargestellt und als unzulässiger Eingriff in die religiösen Freiheiten bezeichnet. Kaum wird versäumt, diese Gesetzesgrundlage als Antisemitismus zu deklarieren, obwohl bisher noch nie der Beweis einer einschlägigen Religionsvorschrift entsprechend der in solchen Fällen üblichen Gesetzesforderung erbracht wurde. Da nun der Beweis einer "zwingenden Religionsvorschrift" auch nicht erbracht werden kann, müssen solche Konfliktdarstellungen mehr als Demagogie erscheinen und begründen eine besondere Bedeutung der ethischen Betrachtungsweise im Sinne eines mitgeschöpflichen Mensch-Tier-Verhältnisses. Bereits bei der Vorbereitung des Fesselns und des Werfens, vor allem aber beim Schächten selbst, erleidet das unbetäubte Tier Todesangst, unsägliche Leiden und Schmerzen. Ein schmerzempfindendes Wesen von diesen unnötigen Zumutungen zu verschonen, muss als ein höher einzustufendes Rechtsgut bewertet werden als irgend ein religiöses Konstrukt oder Ritual, dessen Sinn nicht, oder nicht mehr nachzuvollziehen ist. Mit solchen Feststellungen begründe ich, dass im Hinblick auf unsere fortschrittlichen Erkenntnisse und unschädliche Betäubung, die Schächtung des unbetäubten Tieres eine unethische Verhaltensweise sowie unnötige Quälerei darstellt. Darum wird im deutschen Tierschutzgesetz (TSchG) §4 und in den Schlachtverordnungen die Betäubung jedes Wirbeltieres vor seiner Tötung und dem Blutentzug verlangt. Eine Ausnahmegenehmigung darf nur beim Nachweis einer "zwingenden Religionsvorschrift" erteilt werden und nur für die Religionsangehörigen mit Wohnsitz im Gültigkeitsbereich der Gesetze. Es wird nur wenigen bekannt sein, dass bereits 1906 ein Gutachten von 585 Veterinärmedizinern als Schlachthofdirektoren durchweg das betäubungslose Schächten als Tierquälerei bezeichnet, der jeglicher religiöser Charakter fehlt. In anderen Untersuchungen wird festgestellt, dass das Tier keinesfalls - wie oft behauptet - unmittelbar nach dem Schächtschnitt das Bewusstsein und damit seine Schmerzempfindung verlöre, denn beim Lösen seiner Fesseln nach dem Ausbluten würde es mit der entsetzlichen Halswunde aufstehen und orientiert angstvoll dem Ausgang des Raumes zu schwanken. Dieses Ausbluten dauert je nach Tiergröße und Todeskriterien bis zu 12 Minuten. Der Schnitt durch die Hals-Weichteile ist äußerst schmerzhaft. Es werden dabei nur zwei der insgesamt sechs Halsarterien durchtrennt, die das Gehirn versorgen. Das hat seine fast unverminderte Durchblutung zur Folge, die bei dem vorgeschriebenen Aufhängen an den Hinterläufen noch orthotatisch verstärkt wird. Wegen einer Durchtrennung von Nerven kommt es zum lähmungsbedingten Zwerchfell-Hochstand mit zusätzlicher Atmungsbehinderung. Aus der durchtrennten Speiseröhre wird der Mageninhalt aspiriert und Hustenreiz ausgelöst, was die Schmerzen durch Atemnot und Erstickungsangst verstärkt. Diese panische Angst ist an den Augen des Tieres gut erkennbar für jeden, der dem Schächtablauf einmal beigewohnt hat. Deshalb stelle ich fest: Es gibt keinen plausiblen Grund dafür, den Tieren bei vollem Bewusstsein und uneingeschränkter Schmerzempfindung einen solch qualvollen und langsamen Tod zu bereiten. Kein Gott, welcher Religion auch immer, kann so grausam sein, zu fordern, dass seine Geschöpfe "ihm zu Ehren" auf diese Weise gequält werden! Das kann in keiner von Ihm stammenden Mitteilung enthalten sein! Es sind von Menschen erdachte Ritualmorde an der wehrlosen Kreatur, die als Irrweg bezeichnet werden müssen und niemals gottgefällig sein können. In allen Religionen wird Schutz und schonender Umgang mit den Tieren gefordert; wohlgemerkt: Religionen und nicht Religionsinterpretationen ! Viele tatsächlichen Gebote und Verbote des Alten Testaments sind im Laufe der Zeiten den neuen Erkenntnissen angepasst worden. Warum sollte das für unser Mensch-Tier-Verhältnis nicht ebenso möglich sein? Selbst die eindeutige göttliche Anweisung in der Genesis über die Ernährung der Menschen wird ignoriert. Wenn auch einige Ernährungswissenschaftler die Notwendigkeit tierischer Nahrung behaupten, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich der Schöpfer unserer Erde und ihrer Reiche hierin getäuscht haben soll! Allen muss wieder bewusst gemacht werden, dass wir schon lange keine Tieropfer mehr bringen sollen, wollen oder gar müssen! Da fundamentalistische Kreise der beiden Weltreligionen ohne belegbare Vorschriften auf das betäubungslose Schächten der Tiere beharren, entstehen unweigerlich Unvereinbarkeiten mit unseren Gesetzen. Im §4a Absatz 2 des Tierschutzgesetzes wird unmissverständlich vorgeschrieben: " ...die zuständige Behörde darf Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schächten nur insoweit erteilen, als es dem Bedürfnis der Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Gesetzes entspricht und deren zwingende Vorschriften solches Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht betäubungslos geschächteter Tiere untersagen." Beides ist nicht gegeben, denn "zwingende Vorschrift" besagt, dass bei Nichtbefolgung eine Bestrafung bis zum Ausschluss droht und andererseits sich im Ausland den jeweiligen Essgewohnheiten angepasst werden darf. Solch zwingende Vorschrift ist auch deshalb nicht haltbar, weil zur Zeit ihrer Entstehung eine Betäubungsmöglichkeit unbekannt war und deshalb nicht verboten werden konnte. Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht (BVG) entschieden, dass eine individuelle Glaubensüberzeugung oder persönliche Auslegung diesbezüglicher Anweisungen der gesetzlichen Forderung einer "zwingenden Religionsvorschrift" nicht entsprechen. Nicht zuletzt hat der Bundesrat festgestellt, dass das Schächten nicht als religiös-rituelle Handlung nach Art. 4 des Grundgesetzes (GG) einzustufen und damit eine Befreiung von bestehenden Gesetzen nicht möglich sei. Es handele sich zwar um eine "religiöse Grundhaltung", da jedoch diese Tötungsform seit Jahrtausenden und den verschiedensten Ländern durchgeführt werde, erfülle sie eben die Voraussetzungen des Artikel 4 GG nicht. Der Staatsminister Goppel sagt dazu: "Die Religionsausübung ist grundsätzlich geschützt, doch es ist nicht alles geschützt, was als solche bezeichnet wird!" Ein weiteren wesentlichen Aspekt verwendet das Bundesverwaltungsgericht (BVG) in seiner ablehnenden Entscheidung: Beim Fleischessen handele es sich nicht um einen Ernährungsnotwendigkeit sondern um einen auf persönlicher Geschmacksentscheidung beruhenden Ernährungsgenuss. Fleisch sei zwar ein allgemein übliches Nahrungsmittel, auf welches zu verzichten aber aus Gründen des Tierschutzes zumutbar sei und keine unzumutbare Einschränkung der persönlichen Entfaltungsfreiheit darstelle. Eine selten erwähnte, aber um so bedeutungsvollere gerichtliche Feststellung, der allgemein zu wenig Beachtung gezollt wird. Damit sind wir nun bei der Grundsatzfrage des Tierschutzes angekommen, ob der Mensch seine Mitwelt als Ausbeutungsobjekt betrachten darf oder ob ihm aufgrund seines größeres Wissens und seiner tieferen Erkenntnisfähigkeit eine Schutzverpflichtung entsteht. Der Begriff "Tierschutz" wird auch von orthodoxen Schächt-Befürwortern verwendet, wie z.B. vom Oberrabbiner und wissenschaftlichen Berater des "European Board of Schechita" in Brüssel. Als promovierter Tierarzt und Tierexperimentator scheut er sich nicht zu behaupten, dass das betäubungslos geschächtete Tier bereits beim ersten Hautschnitt sein Bewusstsein und damit seine Schmerzempfindung verlöre. Die Blutzufuhr zum Gehirn würde dadurch unterbrochen, weil ja die beiden Schlagadern durchtrennt werden. ("Schechita in the light of the year 2000" und "Medical aspects of schechita") An anderer Stelle versteigt er sich sogar zu der Behauptung, dass das nach strengen Regeln durchgeführte Schächten schmerzfrei sei und damit die "tierschützerischste" Tötungsmethode. Bei dieser Betrachtungsweise müssten eigentlich alle Länder das betäubungslose Schächten per Gesetz einführen!!! In dem vorgegebenen thematischen und zeitlichen Rahmen ist es nicht möglich, seine jeder Wissenschaftserkenntnis widersprechenden Interpretation zu widerlegen. Wen das interessiert, dem sei die Dokumentation des Chirurgen und Anästhesiologen Dr. Hartinger mit dem Titel "Das betäubungslose Schächten der Tiere im 20. Jahrhundert" empfohlen. Es zeigt nicht nur die tatsächlichen Verhältnisse auf, sondern auch bedeutende Stellungnahmen zur Thematik aus jüdischer Sicht, wie z.B. Moses Maimoides, des berühmten Rabbiners Hacohen-Kook und Dr. L. Stein, des Philosophen Michael Landmann, Yehudi Menuhin, Edgar Loewi, J. Stern, J.H. Lewi, W. Fackenheim und anderer. Der Einfallsreichtum unserer Verantwortlichen ist bemerkenswert, mit dem trotz eindeutiger Gesetzeslage und Rechtsprechung Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schächten ungeprüft erteilt werden. Es reicht von Anweisungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums an die Länderminister, für Antragsteller mosaischen Glaubens sei der Beweis einer "zwingenden Religionsvorschrift" erbracht, über die Bestimmung, dass diese nicht "schriftlich vorliegen müsse" bis hin zu Rechtfertigung der Gesetzesübertretungen oder deren Duldung mit "geschichtlichen Verpflichtungen". Wenn ich diese Aussage richtig verstehe, wird mit dem Holocaust der Juden nunmehr der Holocaust der Tiere gerechtfertigt!? Vielfach gibt man sich auch gar keine Mühe zu verbergen, wie die Gesetze unterlaufen werden und beruft sich einfach auf rechtlich undefinierbare Begriffe wie "Religions-Tradition", "altes Brauchtum" oder "religiöses Selbstverständnis" ohne zu berücksichtigen, dass der Art. 4 des Grundgesetzes auch die religiösen Vorstellungen und Moralauffassungen der Bevölkerungsmehrheit unseres Staates schützt. Bei dieser Verfahrensweise befinden sich unsere Staatsdiener augenscheinlich "auf sicherem Boden", sicher aber nicht auf dem Boden der Gesetze! Es wäre endlich an der Zeit, das betäubungslose Schächten der Tiere als Unrecht sowie als würdeloses und beschämendes Fehlverhalten der Menschen zu erkennen, wie es mit dem Religionsgesetz des Zu-Tode-Steinigens, den Hexenverbrennungen, der Inquisition und der Sklaverei - leider zu spät - geschah. Wenn menschliche Ansprüche und religiöse Forderungen in Gegensatz zur Menschenwürde geraten, sind wir aufgrund der Geschichtserkenntnis alle aufgerufen, der Menschenwürde zum Durchbruch zu verhelfen. Es gibt weder eine jüdische noch islamische Religionsvorschrift, die das Betäuben der Schlachttiere verbietet und der weltberühmte Oberrabbiner Dr. L. Stein schreibt in seinem rabbinisch-theologischen Gutachten "Über das Schächten": "Es ist im mosaischen Religionsgesetz keine Spur zu finden, nach der das Töten eines zum Genuss erlaubten Tieres mittels eines nach den strengen Regeln der Schechita auszuführenden Schnittes in den Hals zu geschehen habe oder gar, dass ein Tier, bei dem diese Handlung unterlassen wurde, zum Genuss verboten sei!" Es wäre die Pflicht eines jeden von ethischen Grundsätzen geleiteten und von Mitgefühl und Tierliebe geprägten Menschen, seine Stimme gegen dieses himmelschreiende Unrecht an der Kreatur zu erheben und ein generelles Verbot dieser scheußlichen anthropozentrischen Überheblichkeit zu fordern. Wir alle, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen, müssen stark und konsequent bleiben, damit die stumme leidende Tierwelt nicht ihre Fürsprecher und die Menschheit nicht ihre Menschenwürde verliert! Ich danke Ihnen Samuel Dombrowski Referat auf dem 3. Interdisziplinären Symposium "Tiere ohne Rechte? " Europa-Universität Viadrina Frankfurt / Oder am 26.3.98 - 28.3.98 Verfasser: Samuel Domrowski Zur Person Samuel Dombrowski: Herr Dombrowski ist polnischer Jude und hat Ausschwitz überlebt. 22.10.1922 geb in Szerokova/Polen in der Nähe von Krakau bis 1934 wohnhaft in Brattogon/Polen, Unterricht privat zu Hause. von 1934 bis Ausbruch des Krieges wohnhaft in Lodz/Polen von 1939 bis 1944 in S.Getto und im Jahr 1944-1945 in Auschwitz und im KZ Friedland 1945-1948 in Prag (CSR) beschäftigt in Elektrobetrieb. Ab 1950 wohnhaft in Düsseldorf Seit 1950 im Tierschutz engagiert. |
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